Doppelpuls – Gedanken eines Prüfmittelbauers aus der Praxis

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In den letzten 20 Jahren habe ich viele – teils lustige – Erklärungen zum Doppelpuls gehört. Zum Beispiel „soll der Doppelpuls die Charakterisierung eines elektrischen Vierpols sein, wobei der erste Puls den Eingang und der zweite Puls den Ausgang beschreibt“. Was für den erfahrenen Fachmann selbstverständlich ist, kann bei Unerfahrenen schon mal Missverständnisse hervorrufen. Zudem merken wir als Prüfmittelbauer, dass Anwender das Thema Doppelpulstest aus vollkommen verschiedenen Blickwinkeln betrachten.

Dipl. Ing. Konrad Domes - CEO SAXOGY POWER ELECTRONICS GmbH

Dipl. Ing. Konrad Domes — CEO, SAXOGY POWER ELECTRONICS GmbH

Dieser Artikel ist in der Februarausgabe 2024 von Bodo’s Power Systems® erschienen. Gern können Sie ihn und weitere spannende Artikel zum Thema Leistungselektronik hier herunterladen: https://www.bodospower.com/current.aspx

Die Entwicklung einer leistungselektronischen Baugruppe erfordert mehrere Arbeitsschritte. Einer dieser beinhaltet die dynamische Charakterisierung des Schaltverhaltens der Leistungshalbleiter. Dazu wird ein Doppelpuls-Setup, bestehend aus:

  • einem kapazitiven Energiespeicher, auch Zwischenkreis genannt;
  • den zu prüfenden Leistungshalbleitern, welche aus mindestens einem Schalter und einer Diode bestehen sowie
  • einer Lastinduktivität, welche als magnetischer Wandler funktioniert.

In der Norm IEC 60747-9 ist der entsprechende Versuchsaufbau sowie die Messergebnisse am Beispiel eines IGBTs erklärt. Über die realen Ausführungen und mögliche Fallstricke werden erwartungsgemäß keine weiteren Angaben gemacht.

Wozu dient der Doppelpuls überhaupt?

Das Schema eines möglichen Doppelpulsaufbaus ist in Bild 1 dargestellt, die Messdaten in Bild 2.

Abbildung 1: Grundlegender Doppelpulsaufbau mit zwei MOSFETs
Abbildung 2: Simulationsergebnisse eines Doppelpulsaufbaus

Mit einem ersten Puls wird die Lastinduktivität bis zum gewünschten Nennstrom aufmagnetisiert, wobei das Abschalten des Stromes die ersten Daten über das Ausschaltverhalten im Arbeitspunkt liefert. Nach einer Erholzeit, in welcher der Halbleiter vollständig stromlos werden muss, wird erneut eingeschalten.

Der vorherige Nennstrom fließt – getrieben durch die magnetische Wandler-Induktivität – weitestgehend in der gegenüberliegenden Diode. Beim Wiedereinschalten wird der Strom zurück in den zu prüfenden Halbleiter kommutieren. Dies liefert den zweiten Datensatz mit allen Informationen über das Einschaltverhalten des Leistungshalbleiters. Ist der Einschaltvorgang unter Nennstrom vollständig erfasst, wird der zweite Puls abgeschaltet. Die dabei anfallenden Daten sind jedoch nicht unbedingt interessant.

Prinzipiell wird davon ausgegangen, dass ein Halbleiter, welcher einen einmal geschalteten Arbeitspunkt problemlos übersteht, diesen Arbeitspunkt immer überleben wird. Vorausgesetzt, der Halbleiter degradiert nicht und die dabei entstehende Wärme wird kontinuierlich abgeführt. Durch die Charakterisierung aller denkbaren Arbeitspunkte und die Berechnung der Verlustleistung unter Berücksichtigung der Schaltfrequenz, kann die benötigte Kühlleistung berechnet werden.

SAXOGY´s double puls test box with temperature management and inert gas connections

Parasiten – unsichtbar, aber gemein

Neben der magnetischen Wandler-Induktivität bringt jedes Stück Verbindungsleitung einen weiteren induktiven Anteil in die Schaltung. Leider auch an Stellen, wo möglichst wenig oder keine Induktivität vorhanden sein sollte. Hinzu kommt, dass jedes Stück Leitung eine Koppelkapazität zu benachbarten Leitern bildet.

Diese parasitären passiven Komponenten bilden wiederum Schwingkreise, welche leicht durch schnell schaltende Bauelemente angeregt werden können.

Natürlich sollten alle Abstände zwischen den Bauelementen des oben genannten Setups so kurz wie möglich sein. Der Kommutierungskreis, welcher aus den beiden Halbleitern sowie der Zwischenkreiskapazität gebildet wird, kann so auf Induktivitätswerte von ca. 10nH  reduziert werden.

Nach dem Abschaltvorgang sperrt der entsprechende Halbleiter durch den Aufbau einer internen Sperrschicht. Diese besitzt eine Kapazität und bildet mit der Kommutierungsinduktivität einen Schwingkreis. Daraus resultierende Abschalt-Oszillationen sind als Überlagerung auf der Sperrspannungskurve zu erkennen.

Durch den Abschaltvorgang wird der Stromfluss in der Kommutierungsinduktivität unterbrochen, wodurch diese eine Abschalt-Überspannung erzeugt.

Je nach Setup kann die Überlagerung von Abschalt-Überspannung sowie Abschalt-Oszillation zu einer Verstärkung oder teilweisen Auslöschung des Spannungs-Spitzenwertes führen. Um ein Überschreiten der maximalen Sperrspannung am Halbleiter und einer damit einhergehenden Zerstörung des Halbleiters zu verhindern, sollte das Ausschaltverhalten unter Worst-Case Bedingungen charakterisiert werden. Dazu zählen die Benutzung des zukünftigen Ziel-Layouts, die erwartete Sperrschichttemperatur mit der höchsten Schaltgeschwindigkeit und das Abschalten des höchsten Stromes.

Die Erfahrung zeigt, dass es mitunter auch bei Arbeitspunkten zwischen den Maximalwerten zu kritischen Bedingungen kommt. Aus diesem Grund empfiehlt sich eine engmaschige Charakterisierung der Schaltvorgänge über den kompletten Betriebsbereich.

SAXOGY´s fully automated double puls test bench with included measurement equipment

Die richtige Reihenfolge spart Zeit

An dieser Stelle muss man prinzipiell zwischen einer Charakterisierung des Halbleiters oder der Charakterisierung einer Leistungselektronik unterscheiden.

1. Laststrom

Die einfachste und schnellste Möglichkeit, Daten zu erhalten, ist die Variation des Strom-Arbeitspunktes. Der abzuschaltende Strom steht im Zusammenhang mit der Einschaltzeit. Hier gilt es 2 Themen zu bedenken:

  • Die stromdurchflossene Lastinduktivität besitzt einen gewissen Energieinhalt, der bis zum Ausschalten von der Zwischenkreiskapazität bereitgestellt wurde.
  • Ist Energie, während der Einschaltphase, durch Leitverluste verloren gegangen. Dadurch besitzt die Zwischenkreiskapazität nach dem Ausschalten nicht mehr den Spannungswert, wie beim Einschalten.

Um bei einem konkreten Spannungswert abzuschalten, muss demnach die Zwischenkreisspannung um den zu erwartenden Fehlbetrag erhöht werden.Der Strombereich sollte alle betrieblich auftretenden Werte – insbesondere auch Kurzschlüsse – berücksichtigen.

Über die Abstände zwischen zwei Arbeitspunkten lässt sich streiten: Üblich sind 5 bis 10 Arbeitspunkte über dem Nennstrombereich. Ein vollautomatischer Prüfstand lässt natürlich eine engmaschigere Charakterisierung zu. Die Zeiten, als jeder Mess-Plot auf eine Diskette gespeichert beziehungsweise mit viel personellem Aufwand ausgewertet wurde, sind zum Glück vorbei.

2. Gate-Konfiguration

Manche Setups bieten die Möglichkeit, die Art der Ansteuerung des Gatetreibers zu manipulieren. Hier können beispielsweise automatisiert Gatewiderstände, Gateströme oder Gatespannungen angepasst werden. Da diese direkten Einfluss auf das Schaltverhalten haben, ist es essentiell, sie bei der Charakterisierung mit einzubeziehen. Oft sind nur Sekunden notwendig, um dem Gatetreiber neu zu parametrieren. Daher ist es ratsam – nach jedem Arbeitspunkt oder am Ende einer Serie von Arbeitspunkten mit gleicher Zwischenkreisspannung – den neuen Parameter in die Charakterisierung einzubeziehen.

Ist der Gatetreiber hingegen nicht automatisiert, sollte die manuelle Parametrierung am Ende der gesamten Messreihe erfolgen. Da nach jedem Puls der Prüfplatz spannungsfrei geschalten werden muss und somit die statistische Zugriffszahl deutlich höher ist als bei der Parametrisierung einer kompletten Serie, wird so das Sicherheitsrisiko deutlich minimiert. Die Charakterisierung über den kompletten Strombereich wird nun für verschiedene Zwischenkreisspannungen wiederholt. Um Energie und Zeit zu sparen, ist es ratsam bei gleichbleibender Zwischenkreisspannung mehrere Stromwerte zu charakterisieren. Auf diese Weise werden unnötige Lade- und Entladezyklen des Zwischenkreiskondensators vermieden.

3. Zwischenkreisspannung

Die Grenzen für den Spannungsbereich liegen bei einer Halbleitercharakterisierung zwischen Null und üblicherweise 80% der maximal zulässigen Sperrspannung. Die Abschaltüberspannung darf niemals über der maximal zulässigen Sperrspannung liegen!

Bei der Charakterisierung einer Leistungselektronik kann sich beispielsweise auf den Spannungsbereich beschränkt werden, in dem später eine Taktfreigabe des Umrichters erfolgt. Üblicherweise werden alle Spannungsbereiche mit mindestens 5 bis 10 Zwischenpunkten gemessen, wobei eine engmaschigere Charakterisierung wieder mehr Erkenntnis schafft.

4. Sperrschicht-Temperatur

Als üblicherweise letzter Parameter wird die Sperrschicht-Temperatur variiert. Hierfür existieren verschiedene Methoden. Die einfachste Art der Temperierung ist die Nutzung einer Heizplatte. Dabei wird der Halbleiter oder der Kühlkörper des Halbleiters durch eine Heizplatte auf die gewünschte Temperatur gebracht. Mit dieser Methode sind allerdings nur Sperrschichttemperaturen über der Raumtemperatur möglich.

Eine Erweiterung des Verfahrens ist die Temperierung durch eine hydraulische Temperier-Platte. Im Prinzip handelt es sich um einen Öl-gefüllten Flüssigkeitskühlkörper. Die Temperierung des Öls erfolgt wiederum durch ein Temperieraggregat. So sind problemlos Temperaturbereiche zwischen -40°C und +200°C möglich. Zu beachten ist, dass es bei Temperaturen unterhalb des Taupunktes zu einer Kondensation und später zu einer Vereisung des Prüflings kommen kann. Bei hohen Temperaturen können wiederum metallische Flächen oxidieren. Ideal ist der Betrieb des Prüflings in einer Inert-Gas Umgebung. Die Feuchtigkeits- und Sauerstoff-freie Umgebung verhindert sowohl das Vereisen als auch die Oxidation.

Zusammenfassend lässt sich feststellen:

Natürlich kann man mit den wenigen Wörtern nur einen groben Überblick zu diesem Thema vermitteln. Wahrscheinlich bietet der Doppelpuls genügend Stoff, um ein ganzes Buch zu füllen. Unser Ziel ist es, in den folgenden Ausgaben wichtige Teilbereiche rund um den Doppelpulses detaillierter zu betrachten. Ich hoffe, dass durch diese kurze Abhandlung die Zahl der Doppelpuls-Ingenieure wächst und so zukünftig noch zuverlässigere Lösungen entstehen.

Wer sich an das Thema nicht so vertieft heran traut, jedoch trotzdem Ergebnisse benötigt – kann sich gerne mit uns in Verbindung setzen. Wir bei SAXOGY® haben eine ganze Serie an vorgefertigten Lösungen. Sollte das Gewünschte nicht dabei sein, können wir dies gern kundenspezifisch entwickeln.

Lassen Sie uns gemeinsam die Möglichkeiten der Leistungselektronik voll ausschöpfen und Ihre Projekte auf ein neues Level heben.